Das FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum in Berlin versteht sich als Gedächtnis des Bezirks. Es unterhält ein umfangreiches Archiv zu beiden Bezirksteilen. Neben wechselnden Ausstellungen zur Stadtteilgeschichte mit aktuellen Fragestellungen besonders zu Zuwanderung, Industrie-, Gewerbe- und Stadtentwicklung, gibt es die Dauerausstellung mit Abteilungen zur Stadtentwicklung und Migrationsgeschichte, eine historische Setzerei und Druckerei, eine Präsenzbibliothek zur Geschichte Friedrichshains und Kreuzbergs, museumspädagogische Angebote sowie thematische Stadtführungen.
Miriam Zegrer und Henriette Dushe, die Projektleiterinnen des Projekts “KINDERhandPRESSE im FHXB: Vom Leben in der großen Stadt”, stehen im Interview.
Was zeichnet euer Haus aus? Wie beeinflusst es eure Arbeit?
Das Friedrichshain-Kreuzberg Museum ist ein Bezirksmuseum – d.h., der inhaltliche Fokus von Sammlung sowie Dauer- und Wechselausstellungen ist örtlich klar gesetzt. Besonders ist, dass sich das Museum seit der Gründung nicht nur als Archiv des Gewesenen begreift. Die historische Einordnung wird also nicht ausschließlich den Archivaren und Historikern überlassen, sondern sucht und ermöglicht den partizipatorischen Einbezug der Nachbarschaft sowie der im Kiez aktiven Menschen und Initiativen. Die Ausstellungen des Museums erkunden Analogien zwischen historischen Ereignissen und aktuellen Herausforderungen im Bezirk, indem sie besonders die Geschichten der Bewohner:innen in den Fokus rücken.
Das alles passt hervorragend zu unserer Arbeit in der Historischen Druckerei des Museums: Wir laden unsere Teilnehmenden dazu ein, ihr Bezirksmuseum in Beschlag zu nehmen, um hier ihre Sicht auf die Themen des Bezirks, der Stadt, und des Lebens zu diskutieren und mit Hilfe künstlerisch-druckgrafischer Mittel zu veröffentlichen. Dabei nutzen wir den öffentlichen Raum oder andere Kulturinstitutionen im Kiez, wir übernehmen Impulse aus Ausstellungen oder dem Archiv, während unsere Arbeitsergebnisse auch selbst ins Archiv wandern oder begleitend in den Ausstellungen gezeigt werden.
Ihr setzt ein Projekt im Rahmen von “Museum macht stark” um. Wen erreicht ihr? Was ist das Besondere an der Kooperation?
So vielfältig und vielschichtig, wie die Kieze in unserem Bezirk, sind auch unsere Projektgruppen. Alle Teilnehmenden eint zunächst, dass sie fast alle in Friedrichshain-Kreuzberg zu Hause sind oder hier zur Schule gehen. Ein Großteil unserer Klientel lebt in unmittelbarer Nähe rund um das Kottbusser Tor, ein Umfeld, welches stark von unterschiedlichsten historischen und aktuellen Migrationserzählungen, von gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen wie auch Engagement geprägt ist. Wir haben hier mitunter große Armut und Verdrängung auf der einen Seite und durch überbordenden Wohlstand hervorgerufene Gentrifizierung auf der anderen.
Wir kooperieren eng mit der Menschenskinder GmbH und der Stützrad gGmbH, beide sozialpädagogische Träger sind an verschiedenen Standorten im Bezirk im Bereich der Schulsozialarbeit und der Familienhilfe tätig. Durch diese Kooperation erreichen uns die unterschiedlichsten Teilnehmendengruppen: Willkommensklassen auf Ferienexkursion; Projektgruppen einer Schule für Hörgeschädigte; eine als nicht mehr beschulbar geltende Jungengruppe, die als „sozial-emotional Entwicklungsbedürftige“ einordnet und für diese ein besonderes Angebot gesucht wird; eine Vorschulgruppe, die beschlossen hat, ihren sozialräumlichen Bewegungsradius zu erweitern; und dann aber natürlich auch: ganz „normale“ Hortgruppen benachbarter Schulen – das können Schulen mit autistischem Förderschwerpunkt sein oder Schulen, die einem enorm hohen Anteil an Kindern aus Migrationsfamilien unterrichten.
Wenn wir es schaffen, Kinder und Jugendliche aller unterschiedlichen Herkünfte und Richtungen in einer Gruppe für einem regelmäßigen Nachmittagskurs zu vereinen, dann sprechen wir gern von einer „guten Kreuzberger Mischung“. Die zu initiieren ist manchmal herausfordernd und gelingt vielleicht nicht immer. Sie ist aber immer das anvisierte Ziel, denn wir sind überzeugt, dass sie sich am Ende einer Projekteinheit auch in der künstlerischen Qualität der jeweiligen Publikationen zeigt.
Welchen Stellenwert haben außerschulische Angebote in eurer Arbeit?
Wir arbeiten eigentlich fast immer „außerschulisch“, wenn wir mit den Teilnehmenden in den Ferien, an den Wochenenden oder am Nachmittag in unsere Projekte und Themen „druckgrafisch abtauchen“. Wenn wir Projekttage für Schulen anbieten, dann sind es sogenannte „Schnupper- oder Aktionstage“. Hier ermöglichen wir in der Museumsdruckerei oder in den pädagogischen Einrichtungen vor Ort mittels niedrigschwelliger Angebote erste Erfahrungen mit der Druckgrafik und informieren über unser Workshopangebot. So können wir Kinder und Jugendliche zur Teilhabe an unserem freien Kursangebot einladen, die wir sonst nicht erreichen würden.
Wie ist die Idee zum Projekt entstanden?
„Treffen sich eine Druckgrafikerin und eine Autorin auf einer Party in einer Kreuzberger Küche, sagt die eine, wir könnten doch gemeinsam ein Projekt machen…“ Es klingt wie ein Witz, ist aber genauso passiert. Eine Woche später saßen Miriam Zegrer und ich (Henriette Dushe) zusammen in ihrem „Druckatelier im Reuterkiez“, entwarfen ein Projekt mit Namen „NEUKÖLLNERschulBUCHWERKSTATT“, stellten dafür einen Finanzierungsantrag beim Projektfonds Kulturelle Bildung, der bewilligt wurde. Wir tingelten fortan per Fahrrad und U-Bahn mit einer mobilen druckgrafischen Ausrüstung durch etliche Schulen in Kreuzberg und Neukölln, weitere Förderungen für unsere „druckgrafische Befragung des Lebens im Kiez“ folgten, bis uns Martin Düspohl der damalige Leiter des FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museums, für ein Projekt in die damals noch im Dornröschenschlaf liegende Historische Druckerei des Hauses einlud.
Die Museumsdruckerei ist ein fantastischer Ort, Ausstellungsraum und komplett funktionstüchtige Werkstatt in einem. Wir haben hier eine etwa 100jährige Kniehebelpresse, an der unsere Teilnehmer:innen mit ganzer Körperkraft arbeiten können, aber auch eine uralte Radierpresse, die der Legende nach einst in Käthe Kollwitz Atelier gestanden haben soll (an dieser Legende rütteln wir natürlich nicht). Nur wenige Gehminuten vom stets hochtourigen Kottbusser Tor entfernt, empfängt einen hier wohltuende Stille – eine „Aura“, die sich auch auf unsere Klientel legt. Die Historische Druckerei bot uns die Möglichkeit, ein kontinuierlich künstlerisches und druckgrafisches Angebot für Kinder, Jugendliche und Familien des Kiezes zu entwickeln. Und das wiederum wurde erst möglich durch die Förderung durch den Museumsbund im Rahmen von „Kultur macht stark“.
Was braucht es (noch) für gute Projekte vor Ort?
Es gibt sehr viele gute Projekte und hoch engagierte Projektmacher:innen vor Ort: kulturelle, künstlerische, soziale. Dazu zahlreiche Initiativen, die sich aktiv den Herausforderungen im Kiez stellen. In unserem Kiez rund um das Kottbusser Tor, sind die Bereiche wahrscheinlich nie gänzlich voneinander zu unterscheiden: Machst du hier Kultur oder Kunst mit oder für Anwohner und Nachbarinnen, bist du fast immer zwangsläufig auch in Sachen Sozialarbeit unterwegs. Aus unserer Sicht braucht es vielleicht nicht immer ein „Mehr“ und ein „Neu“ oder ein „besonders Extravagantes“ an Projekten, sondern eher ein „Stetig“: Kulturarbeit und Museumspädagogik wie wir sie praktizieren, ist immer auch und vielleicht sogar grundlegend „Beziehungsarbeit“. Eine solche braucht Zeit, um zu wachsen und sich entwickeln zu können. Die kontinuierliche Arbeit ermöglicht daneben auch uns, aus den gemachten Erfahrungen, gute weiterführende und aufbauende Projekte zu entwickeln. Das betrifft die inhaltlich-thematische Ausrichtung, aber auch die didaktische und künstlerische Kompetenz.
Wie sieht ein (intensiver) Projekttag aus?
Das kommt ganz darauf an, wer bei uns zu Gast ist. Ein Vorschulprojekt unterscheidet sich deutlich von einem Profi-Weekend: Mit der Redaktion der KINDERhandPRESSE gehen wir viel breiter und tiefer an Themen und druckgrafische Techniken heran als bei einem Schnuppertag…
Am Anfang jeder Werkstattarbeit aber steht immer die inhaltliche Erforschung des jeweiligen Themas. Dafür werden historische und zeitgenössische künstlerische Verweise aus Malerei, Druckgrafik, Fotografie sowie aus Literatur und Film bereitgestellt, welches wir aus den umliegenden Bibliotheken oder aus dem Museumsarchiv erhalten. Im Vordergrund steht zunächst das gemeinsame „Schwimmen“ im recherchierten Material, dafür sind wir auch mit Zeichenbrettern, Kohle- und Graphitstiften im Stadtraum unterwegs, betreiben „Feldforschung“ vor Ort. Bei einem Projekt zur U-Bahnlinie 1 beispielsweise fahren wir auch gemeinsam mit genau dieser Bahn oder bewegen uns in den U-Bahnhöfen, beobachten und skizzieren dort die Menschen und unsere Erlebnisse. Im letzten Jahr widmeten wir uns der Stadtnatur. Wir waren interessiert an den kleinen widerständigen Gewächsen, die sich durch Asphalt und Beton behaupten. Dafür gingen wir, mit Schaufeln und Eimern ausgestattet, unter die U-Bahntrasse am Kottbusser Tor und gruben unser Anschauungsmaterial selbst aus, welches wir dann in der Museumsdruckerei liebevollst hegten und pflegten, danach studierten und zeichneten.
Zurück in der Museumsdruckerei wird die thematische Beschäftigung von Schreib- und Diskurswerkstätten vertieft, dazu kommt die Vermittlung druckgrafischer Techniken. Im Vordergrund der verbalen und visuellen Auseinandersetzung steht immer die Frage: Was habe ich zu diesem Thema zu sagen? Und wie will es durch mich gesagt werden?
Die Teilnehmenden erstellen in jedem Kurs mindestens eine eigene größere druckgrafische Arbeit. Wir arbeiten je nach Thema und Alter der Teilnehmenden mit Linol- und Holzschnitt, mit Radierung und Siebdruck. Zusätzlich werden aus der Vielzahl der im gesamten Arbeitsprozess entstandenen Bild- und Textskizzen gemeinsame Buch- oder Zeitungsseiten, Spiel-, Plakat- oder Kalenderblätter gestaltet. So entsteht aus den einzelnen individuellen Arbeiten immer auch ein kollektiv entwickeltes Kunstwerk, welches in Auflage im Pressen- oder Siebdruck vervielfältigt und per Hand an den alten Pressen der Historischen Druckerei zur jeweiligen Publikationsform verarbeitet wird.