Zum ersten Mal seit Jahrzehnten mussten die Museen über mehrere Wochen hinweg schließen, Veranstaltungen absagen und den Publikumsbetrieb einstellen. Im Gegenzug ist eine höchst kreative digitale Museumslandschaft entstanden, die den Kontakt in die Gesellschaft aufrechterhält. Mit zahlreichen digitalen Angeboten, wie virtuellen Ausstellungsrundgängen, digitalen Sammlungen, Podcasts, Online-Spielen und vielem mehr haben die Museen der Öffentlichkeit den Zugang zu musealen Inhalten bewahrt. Dabei haben Häuser aller Größen und Sparten mitgewirkt, darunter viele, die auf diesem Gebiet bisher am Anfang standen.
Die Krise zeigt deutlich, welche Chancen sich für die Zukunft ergeben, aber auch, welche Herausforderungen gemeistert werden müssen. Mehr und mehr wird sichtbar, welche Folgen die Corona-Pandemie hat. Oft viel zu knapp kalkulierte Budgets lassen sich bei wegbrechenden Einnahmen nicht halten. Das angestellte Personal ist tariflich abgesichert, nicht aber die freien Mitarbeiter*innen, die in ihrer Existenz bedroht sind. Gespart werden muss an den freien Mitteln, gerade die Kreativität und die aktuellen Projekte werden also besonders leiden.
Die Bundesregierung sowie die Bundesländer haben die Dringlichkeit der Situation erkannt und bereits umfassende Hilfen realisiert. Es muss das gemeinsame Ziel aller Akteure sein, langfristig negative Folgen für die Musemslandschaft in Deutschland zu vermeiden. Die Existenz der Institutionen muss über die Krise hinaus gesichert werden, wie auch die Existenzgrundlage aller extern für die Museen arbeitenden Personen und Firmen. In diesem Zusammenhang begrüßt der Deutsche Museumsbund die Sofortmaßnahmen der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, die Hilfsangebote und Fördermaßnahmen der Bundesregierung sowie Soforthilfeprogramme für Soloselbstständige und Kleinunternehmen der Bundesländer. Mit Sorge betrachten wir jedoch die in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlichen Hilfsprogramme. Aktuell besteht für Kultureinrichtungen und kulturwirtschaftliche Betriebe bei der jeweiligen Unterstützung ein spürbarer Unterschied zwischen den Bundesländern.
Bund und Länder haben sich über erste Lockerungen des Shutdowns im Zusammenhang mit dem Coronavirus verständigt. Der Deutsche Museumsbund erwartet, dass in den kommenden Wochen Schritt für Schritt Museen wieder geöffnet werden dürfen. Museen können auf langjährige Erfahrungen beim Besuchermanagement zurückgreifen und mit Hilfe verschiedener Maßnahmen eine Öffnung unter Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln gewährleisten. Die Umsetzung all dieser Maßnahmen bedeutet für die Museen jedoch eine zusätzliche finanzielle Belastung. Einem erhöhten Personalbedarf, um Abstands- und Hygieneregeln umsetzen zu können, geringeren Einnahmen bei reduzierten Besucherzahlen sowie dem Ausfall von Veranstaltungen muss Rechnung getragen werden. Wir fordern die Politik sowie die Träger daher auf, die Museen bei der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen finanziell zu unterstützen.
Befinden wir uns damit auf dem Weg zurück zur musealen Normalität? Sicherlich nicht. Die Einschränkungen durch die Maßnahmen gegen COVID-19 werden uns alle noch Monate oder Jahre begleiten. Zudem zeigen uns vorangegangene Epidemien wie SARS, dass Pandemien auch in Zukunft immer wieder auftreten können. Hierfür sind neue, mittel- und langfristige Strategien notwendig. Angesichts dieser Perspektiven fordern wir die gesellschaftlichen Akteure, die Museumsträger und damit die politischen Entscheider dazu auf, bereits heute mit einer tiefgreifenden Debatte über die zukünftige Rolle der Museen zu beginnen.
Museen sind Orte der Bildung. Viel zu oft werden sie auf eine unterhaltende Funktion reduziert, auf Ausstellungen und Events. Museen sind auch viel mehr als nur Kunst. Hier erleben die Bürger*innen aller Altersklassen an der Schnittstelle zu Universitäten und zur Forschung Wissenschaft aus erster Hand. Wer über die Öffnung der Schulen diskutiert, kann dies nicht tun, ohne auch die Öffnung der Museen mitzudenken. Ziel muss es sein, Bildungs- und Kulturpolitik endlich sinnvoll zu verknüpfen und die Museen zu einem Ort zu machen, an dem ein generationenübergreifender Bildungsdiskurs stattfindet. „Lifelong Learning“ und „Citizen Science“ dürfen keine bloßen Schlagwörter mehr sein.
Museen leisten diese Bildungsarbeit oft nur unter großen Schwierigkeiten. Gerade in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit sind viele Mitarbeiter*innen nicht fest angestellt, sondern als so genannte „freie Mitarbeiter“ tätig. Die COVID-19 Krise hat gezeigt: dies kann so nicht bleiben. Kontinuierliche Bildungsarbeit verlangt sichere Arbeitsplätze. Hierfür bedarf es einer Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit, damit auch die notwendigen politischen Weichen gestellt werden können.
Museen sind wichtige Orte im öffentlichen Raum. Hier begegnen sich Bürger*innen vor dem Hintergrund von Kunst, Kultur, Geschichte, Naturkunde und Technik. Als nicht kommerzielle „Third Places“ und urbane Kristallisationspunkte gehören Museen zu jeder zukunftsorientierten Stadtentwicklungsplanung. Wir sehen in der Krise, wie die Bevölkerung nach Orten der Begegnung sucht. Angesichts dieser Funktion von Museen sollte ihre rasche Wiedereröffnung höchste Priorität haben.
Museen sind Teil einer globalen Welt. Sie sind mit Partnerinstitutionen weltweit vernetzt. Die Debatte um Objekte aus kolonialen Kontexten hat gezeigt, welch hoher moralischer Anspruch an die Museen gestellt wird, Ungerechtigkeiten kolonialer Zeiten aufzudecken und wo möglich zu heilen. Wir akzeptieren dies, erwarten im Gegenzug aber auch, dass diese Ansprüche für alles öffentliche Handeln gelten. Wir fordern eine europäische und internationale Solidarität, um die Folgen von COVID19 zu meistern. Wir sehen die aktuelle Situation als Anlass, auch das globale Zusammenleben des 21. Jahrhunderts auf den Prüfstand zu stellen, denn heutige Krisen lassen sich nur meistern, wenn Gerechtigkeit und Solidarität das weltweite Handeln bestimmen. Museen leisten ihren Beitrag zu dieser Diskussion, wie die Debatte um die Weiterentwicklung ihrer ICOM-Definition gezeigt hat.
Prof. Dr. Eckart Köhne
Präsident des Deutschen Museumsbundes, Berlin
Dieser Beitrag ist erstmalig erschienen in der Zeitung „Politik & Kultur 5/2020“ des Deutschen Kulturrates