Neue Standards für die Museumsklimatisierung angesichts der Klimakrise

Angesichts der Klimakrise müssen sich Museen mit neuen Werten für die Klimatisierung auseinandersetzen. Viele Standards für die Museumsklimatisierung beschäftigen sich bereits seit einiger Zeit mit einem breiter gefassten Klimakorridor (definierte Schwankungen innerhalb maximaler Grenzwerte). Hier finden Sie eine Übersicht über aktuelle Standards.

“We are past the time of shaming. We need to break the cycle. We need to get climate control under control”
Tino Sehgal

Um optimale Bedingungen für Sammlungsobjekte, Besucher:innen und Mitarbeiter:innen zu gewährleisten, werden bestimmte Temperatur und Luftfeuchtigkeitsbereiche in Museen benötigt. Sammlungsobjekte haben dabei besondere konservatorische Anforderungen an die Klimatisierung, die individuell geprüft werden müssen. Bisher setzen die meisten Museen auf einen fixen Sollwert, der die optimalen Bedingungen für die Sammlungsobjekte garantieren soll.

Dieser fixe Soll-Wert liegt bei 21 °C und bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 50 %. Das Einhalten der eng gefassten Werte verursacht allerdings einen hohen Energieverbrauch und bringt Klimatisierungssysteme bei extremen Außentemperaturen an ihre Leistungsgrenzen. Aus diesem Grund hat der Deutsche Museumsbund angesichts der Energiekrise 2022/23 neue Empfehlungen für einen Klimakorridor im Betrieb mit festen Grenzwerten empfohlen. 

Doch auch im Hinblick auf die Klimakrise kommen Museen nicht mehr drumherum, sich mit ihren Klimawerten ihrer Sammlungen auseinanderzusetzen, um sich auf die neuen klimatischen Veränderungen anzupassen. Daher ist es unabdingbar, dass Museen die Klimawerte ihrer Sammlung hinsichtlich der neuen Empfehlungen prüfen.

Die Grenzwerte der neuen Empfehlungen für die Temperatur liegen dabei zwischen 15 und 26 °C, für die relative Luftfeuchtigkeit zwischen 40 % und 60 %. 

Hierbei ist es wichtig, unter anderem die Berücksichtigung der Arbeitsstättenrichtlinie, die Einhaltung möglichst flacher Gradienten bei der Temperatur und der relativen Luftfeuchtigkeit sowie auch die geografische Lage, das lokale Klima und die vorhandene Literatur und Standards zu berücksichtigen und die Werte ggf. anzupassen.

Standards zur Museumsklimatisierung 

Einige Standards beschäftigen sich bereits seit einiger Zeit mit einem breiter gefassten Klimakorridor bei der Museumsklimatisierung. Wir möchten Ihnen hier einen Überblick über die wichtigsten Standards und deren Angaben und Empfehlungen geben: 

BIZOT Green Protocol  

Dieses Protokoll wurde von zahlreichen Institutionen und Organisationen anerkannt, darunter der National Museums Directors Council (NMDC), ICOM-CC (The International Council of Museums Conservation Committee) und das International Committee for Museums and Collections of Modern Art (CIMAM):  

  • T: 16-25°C 
  • rLF: 40%-60%  
  • keine größeren Schwankungen als 10% in 24 Stunden  

Weiterführende Infos:

ASHRAE  

ASHRAE unterscheidet, abhängig von Materialanforderungen, baulichen und technischen Gegebenheiten, verschiedene Typen der Klimakontrolle: So entsprechen AA und A modernen Zweckbauten, B massiven Altbauten, C Leichtbauten und D offenen Strukturen.

  • T: historischer Mittelwert im Bereich 10-25°C für AA und A; im Regelfall unter 25 °C und stets unter 30°C für B bzw. unter 40°C für C
  • rLF: Jahresdurchschnitt entsprechend dem historischen Mittel; langfristige Grenzwerte betragen 35-65% für die Konfigurationen AA und A, 30-70% für B und 25-75% (aber nicht länger über 65 %) für C
  • Zur Energieeinsparung werden auch für die Konfigurationen A und B saisonale Anpassungen der Zielwerte empfohlen; diese betragen.
    T: +5/-10°C (A), +10/-20°C (B)
    rF: +/-10% (A und B)

Weiterführende Infos:

Getty Conservation Institute (GCI)   

Das GCI hat umfangreiche Untersuchungen zum Umweltmanagement durchgeführt und bietet ausgezeichnete Fallstudien für historische Häuser.  

Weiterführende Infos:

AICCM  

Das Australisches Institut für die Erhaltung von Kulturgütern (AICCM) hat umfangreiche Untersuchungen zu den Umgebungsbedingungen für Sammlungen unter Berücksichtigung des örtlichen Klimas durchgeführt und bietet eine Reihe von Möglichkeiten, die auf den geografischen Standort zugeschnitten sind:  

  • T: 15-25°C (max. 4°C Schwankung in 24 Stunden) 
  • rLF: 40-60%
  • Subtropische Klimazonen: 45-65%  

Weiterführende Infos:
AICCM: Environmental Guidelines – Australian Institute for the Conservation of Cultural Material (aiccm.org.au) 

AIC   

Das Amerikanische Institut für Denkmalpflege (AIC) gibt einen guten Überblick über verschiedene Leitlinien und die Geschichte dieser Empfehlungen.   

  • T: 15-25°C (59-77ºF )   
  • rLF: 40%-60%  

Weiterführende Infos:
Environmental Guidelines – Wiki (conservation-wiki.com) 

ICOM-CC  

ICOM-CC schließt sich den vereinbarten Leitlinien von AIC, AICCM, der Bizot-Gruppe u.a. aus dem Jahr 2014 an.  

Weiterführende Infos:
ICOM-CC | Environmental Guidelines ICOM-CC and IIC Declaration 

Die Zusammenstellung der Standards lässt vermuten, dass sich die Museumswelt in dieser Sache einig ist, einen erweiterten Klimakorridor bei der Museumsklimatisierung einzuführen. Doch die fixen Werte der Museumsklimatisierung halten sich bereits seit Jahrzehnten in den Diskursen. Wie kam es zu den festen Werten? Hier lohnt sich ein Blick in die Geschichte der Museumsklimatisierung. 

Eine kurze Geschichte der Museumsklimatisierung  

1950–60er  
Klimatisierung gibt es in deutschen Museen erst seit den 1950er/1960er Jahren. Das Museum Folkwang in Essen und die Neue Nationalgalerie in Berlin gehörten damals zu den Vorreitern. Kunstwerke, die vor dieser Zeit entstanden sind, haben ihr gesamtes „Leben“ davor „unklimatisiert“ verbracht. Vor allem ausgestellte Objekte unterlagen dadurch stark beschleunigten Alterungsprozessen.   

1960er
Erste Berichte über die Auswirkungen des Klimas auf die Konservierung von Museumsobjekten erscheinen, die Aussagen sind u. a.: 

  • 50 %65 % rL, ohne „aprupte Änderungen“
  • Berücksichtigung der Geschichte des Objekts und seiner Struktur
  • Einführung von Risikobewertungen  

1978 
Gary Thomason legte 1978 mit seinem Buch „The Museum Environment“ den Grundstein für einen eng gefassten Klimakorridor von 5055 % +/- 5 % relative Luftfeuchtigkeit für „Class 1“-Museen. 

1990 
Smithsonian gibt neue Empfehlungen heraus, die Materialien sind widerstandsfähiger einzustufen, wenn sie in der Vergangenheit einer größeren Bandbreite an relativer Luftfeuchtigkeit ausgesetzt waren. 

1994 
Der Konservierungswissenschaftler Jonathan Ashley-Smith schreibt in seinem Aufruf „Let’s be honest“: „Relax… The risk of damage may be much less than you imagine. Large numbers of objects that might through routine ignorance be put into the plus or minus 5 % bracket are robust enough to be lent from 50 plus or minus 15 %“
(vgl. https://cool.culturalheritage.org/byauth/ashley-smith/honest.html, die Rede unterscheidet sich deutlich von den Vorabdrucken der Beiträge zum Ottawa-Kongress: Ashley-Smith, J.; Umney, N.; Ford, D.: “Let’s be honest–realistic environmental parameters for loaned objects.”, in: Preventive conservation: practice, theory and research. Vorabdrucke der Beiträge zum Ottawa-Kongress der IIC, 12.16. September, Ottawa 1994, S. 2831.)  

2004  
Das Smithsonian verabschiedet neue Richtlinien von 45 % +/- 8 % rL basierend auf der Forschung von Marion Mecklenburg.    

2022
KI Culture und die Gallery Climate Coalition veranstalten die erste internationale Climate Control Conference , bei der es um die Erweiterung und die Hinterfragung von geltenden Klimastandards ging.

2023
Das Rathgen-Forschunglabor der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat ein Projekt zur Klassifizierung von Museumsklimata initiiert, das von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien unterstützt wird. Hierbei geht es darum, die tatsächlich benötigten Klimabedingungen einer Sammlung zu evaluieren und daraus Energiesparoptionen und Risikomanagementstrategien abzuleiten.

Welche nächsten Schritte können wir gehen?

Die neuesten Entwicklungen zeigen, dass es ein vermehrtes Interesse an der Überarbeitung der Klima-Standards in Museumssammlungen gibt. Jedes Museum sollte seine Sammlung mindestens der Empfehlungen des Deutschen Museumsbundes prüfen. Gegebenenfalls sind externe Expert:innen hinzuzuziehen.

Unabdingbar sind hinreichendes Monitoring und Evaluierungen sowie eine fachgerechte Betreuung bei der Anpassung der Klimawerte der Sammlungen. Zudem muss bei Neubauten und Sanierungen verstärkt darauf geachtet werden, die Klimatisierung von Sammlungen mit passiven Mitteln und unter Ausnutzung natürlicher Prozesse zu erreichen. Speichervermögen von Baustoffen, geeignete Verschattungssysteme, ökologische Energieversorgungen und ein nachhaltiger Gebäudebetrieb sind unabdingbar und müssen zwingend von der Politik gefördert werden.

Das Sammlungsgut in den unterschiedlichen Museen ist hoch divergent und die konservatorischen Anforderungen für die Umgebungsbedingungen können daher sehr unterschiedlich sein. Für einzelne Sammlungsbestände oder gar ganze Konvolute kann es daher erforderlich sein, speziell angepasste klimatische Rahmenbedingungen, ggf. unter Hinzuziehung externer Fachexpert:innen, zu formulieren.

Langfristig sollte ein holistisches Risikomanagement in die Prozesse des Museumsmanagements eingebettet werden, das auch Projekte, die sich der Anpassung an die Klimafolgen widmen, in den Blick nimmt. Die erforderlichen Ressourcen für die Anpassungen der Klimawerte sind von der Politik und den Trägern bereitzustellen.

Weiterführende Literatur und Links:   

Action! Wie reagieren Museen auf die Klimakrise? Lesen Sie auch den Beitrag der Kunstsammlung NRW, die die Klima-Standards für ihre Sammlung angesichts der sich zuspitzenden Klima- und Energiekrise überarbeitet.